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Podcast: Corona, Rassismus und Geschlechterungleichheiten als gesellschaftliche Herausforderung

Über kritikwürdige Entwicklungen in einer aufgeklärten Demokratie spricht Soziologe Matthias Quent in der 24. Folge des Podcasts „Science Talk“.

Soziologe Prof. Dr. Matthias Quent hat sich den Forschungsschwerpunkten Rassismus und Rechtsextremismus verschrieben. Foto: Institut für Demokratie & Zivilgesellschaft

Wie rassistisch sind deutsche Behörden? Gibt es einen Zusammenhang zwischen hohen Corona-Inzidenzen und Wahlergebnissen? Warum sind in einer aufgeklärten Demokratie immer wieder rückschrittliche Ansichten auf dem Vormarsch? Und wie kann man als Einzelperson auf kritische Zustände reagieren? Anregende Denkanstöße gibt Prof. Dr. Matthias Quent, Professor für Soziologie für die Soziale Arbeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal sowie Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, in der 24. Folge des Podcast-Formats „Science Talk“.

1986 im thüringischen Arnstadt geboren, habe Matthias Quent oft mit rechter Gewalt Erfahrungen sammeln müssen, wie er im „Science Talk“ erzählt. Die Fragen, wo der Hass herkommt, warum die Gesellschaft diesem so wenig entgegenzusetzen hat und wie es den Opfern geht, hätten ihn deshalb sehr früh beschäftigt und auch auf seinen beruflichen Weg gebracht. Seine Expertise hat er bereits als Sachverständiger für verschiedene Untersuchungsausschüsse, unter anderem des sächsischen und thüringischen Landtags sowie des Deutschen Bundestags, eingebracht. Er ist Bestseller-Autor, Träger des Zivilcourage-Preises der Stadt Jena und wurde 2019 von der „Zeit“ zu einem der 100 wichtigsten jungen Ostdeutschen gewählt. Seit Mai 2021 gibt er sein Wissen auch an Studierende der Hochschule Magdeburg-Stendal weiter.

„Zu meinem generellen Verständnis von Wissenschaft und auch Lehre gehört es, Menschen zu einer kritischen Mündigkeit zu befähigen, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, Sachen in Frage zu stellen, die als vermeintlich natürlich oder vermeintlich unabänderlich erscheinen“, betont Matthias Quent. Grundlegende Voraussetzung dafür ist, zu verstehen, wie die Gesellschaft funktioniert. Die Soziologie als dahinterstehende Wissenschaft wolle sichtbar machen, dass „die gesellschaftlichen Prägungen, Ungleichheiten und Vorbestimmungen, die nicht in der Hand der oder des Einzelnen liegen, sondern die sozialhistorisch entstanden und auch konstruiert sind, sehr viel von unserem Alltag ausmachen“, erklärt der Soziologe.

Rassismus als strukturelles Problem

Als markantes Beispiel nennt er den Rassismus. Rassischste Folgen sind laut Matthias Quent ein „Ausdruck einer globalen Weltordnung, die strukturell ungleich ist. Und zwar so ungleich ist, dass die Länder mit weißer Bevölkerung die reicheren, wohlhabenderen, gesünderen sind als die mit einer mehrheitlich schwarzen Bevölkerung. Wobei daran nicht die schwarze Bevölkerung Schuld ist, sondern eben die strukturellen Ungleichheiten im Weltsystem“, sagt er. „Rassismus ist historisch und aktuell ein Ausdruck von ungleichen Machtverhältnissen, die global wie auch national wirken.“

Nicht immer also seien seiner Meinung nach ausschließlich individuelle Einstellungen ausschlaggebend, sondern oft die vorhandenen Strukturen. Die These führt er bei der Frage, wie rechtsextrem Behörden sind, am Beispiel der Polizei näher aus. „Wenn die Erfahrung ist, dass Menschen, die als Schwarze gelesen werden, häufiger mit Drogen schmuggeln, dann kontrolliert man sie auch häufiger. Das führt zu häufigeren Fünden, das wiederum bestätigt die Systemlogik, man müsse die ja häufiger kontrollieren, um mehr Drogen zu finden“, zeigt Matthias Quent den Teufelskreis auf. „Da mag der einzelne Beamte gar kein rassistisches Weltbild dahinter haben, aber die Struktur, die dahintersteht beziehungsweise die institutionelle Logik ist rassistisch. Und das führt dazu, dass es zu menschenrechtswidrigen Handlungen wie beispielsweise dem Racial Profiling kommt.“

Rechte Strömungen begünstigen Rückschritte

Doch auch ausländerfeindlich gesinnte Einzelpersonen und rechtsausgerichtete Parteien thematisiert Matthias Quent im „Science Talk“. „Einerseits verstehen wir so viel, beispielsweise über die Wirkungsweise von Rassismus und Geschlechterungleichheiten, andererseits hilft das zumindest nicht der ganzen Gesellschaft, um darüber hinwegzukommen. Sondern im Gegenteil: Ein Teil der Gesellschaft radikalisiert sich geradezu in der Abwehr dieser Einblicke der Aufklärung, neuer Forschung und auch einer neuen Form von Selbstkritik.“ In diesem Zusammenhang erklärt er, wie beispielsweise die AfD mithilfe demokratischer Parteien so stark werden konnte und welcher Strategien sich rechte Parteien bedienen, um als „neue Mitte von Morgen“ zu wirken.

Darüber hinaus belegt er anhand einer IDZ-Studie einen Zusammenhang von AfD-Wähler-Regionen und hohen Corona-Inzidenzen. Auch der Frage nach der Gewaltbereitschaft in der Corona-Leugner-Szene geht er nach und spricht dabei die seiner Meinung nach nötigen Grenzen von Toleranz gegenüber Intoleranten an. Dass Menschen generell gegen Fortschritt und Wissenschaft agieren, empfindet er als paradox. „Einerseits werden beispielsweise Geschlechterungleichheiten, Gender-Dichotomisierungen, Rassismus, Vorurteile in der Öffentlichkeit heute sozial stärker sanktioniert als noch vor 20 Jahren […] und gleichzeitig ist dieser eigentlich positive Fortschritt, diese Aufklärung ambivalent, weil nicht alle Menschen mitgenommen werden und mitgenommen werden können auf diesem Prozess, weil sie nicht mitgenommen werden wollen“, meint Quent.

Mehr Akzeptanz und Selbstreflektion gefragt

Als Grund gibt er an, manche Menschen würden vor allem auf ihre weißen, männlichen Vorrechte bestehen und lieber „laut schreiend gegen neue Einsichten und neue Perspektiven, auch neue Gleichwertigkeitsvorstellungen der Gesellschaft zu Kreuze ziehen, als schlicht in Einsicht in die Unteilbarkeit der Menschenwürde Dinge auch anzunehmen oder zumindest zu akzeptieren.“ Fortschritt gehe allerdings, so Matthias Quent mit Blick auf die Geschichte, immer mit Rückschritten einher. Das zeige unter anderem die Frauenrechtsbewegung und auch die Reihenfolge der amerikanischen Präsidenten ab der Ära Bush senior.

Umso notwendiger sei es, dass Staat und Zivilgesellschaft sich gegen rückschrittliche Tendenzen positionieren. Dazu empfiehlt Matthias Quent als wichtigsten Schritt das regelmäßige Lesen von Tages- und Wochenzeitungen. Laut dem Soziologen ist es ein Irrglaube, sich ausschließlich über Facebook, Instagram und Twitter gut informiert fühlen zu können und nicht zu reflektieren, „wie wir eigentlich durch Algorithmen in die Irre geleitet werden und immer nur das lesen, was wir sowieso schon wissen oder was wir gut finden.“ Das sei eine große Gefahr.

Text: Karoline Klimek

 


 

Über den Science Talk

Wissenschaft kompakt und kurzweilig aufbereiten – das ist das Konzept des Formats „Science Talk“. Entstanden ist es innerhalb des TransInno_LSA-Teilprojekts „VTrans – Verstetigung von Transferprozessen“. Neben Live-Talks werden Themen aus den Bereichen Forschung, Gründung und Transfer seit November 2020 auch als Podcast zum Nachhören aufbereitet. Am 3. November ist die dritte Staffel gestartet. Neue Folgen gibt es regelmäßig immer mittwochs im Zwei-Wochen-Rhythmus ab 8 Uhr. Reinhören können Interessierte kostenfrei bei Spotify sowie auf der Website www.sciencetalk.net. Informationen zur aktuellen Folge veröffentlicht das Podcast-Team zudem auf dem Instagram-Kanal vtrans_sciencetalk.

 

Die nächsten Termine im Überblick

  • 2. Februar: Prof. Dr.-Ing. Gilian Gerke, Dozentin im Fachbereich Wasser, Umwelt, Bau und Sicherheit an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Forschungspreisträgerin des Science Days 2019, Arbeitsschwerpunkte: Stoffstrom- und Ressourcenmanagement und Verpackungsrecycling
  • 16. Februar: Prof. Dr. Susanne Borkowski, Vertretung der Professur für kindliche Entwicklung und Gesundheit an der Hochschule Magdeburg-Stendal
  • 2. März: Prof. Dr. Nicole Wetzel, Professorin für Neurokognitive Entwicklung an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Leiterin der Unabhängigen Forschergruppe „Neurokognitive Entwicklung“ am Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg (LIN)