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Podcast: Wie Kinder sich besser konzentrieren und vor Ablenkung schützen können
Pupillenveränderungen können mit Hilfe eines Eye-Trackers auch schon bei Kindergartenkindern gemessen werden. Foto: Sophie Ehrenberg
Wie reagieren kindliche Gehirne auf Störgeräusche? Wie lernen junge Menschen, sich auf wichtige Aufgaben zu fokussieren? Und wie stark beeinflussen digitale Medien die Konzentrationsfähigkeit? Fragen rund um die selektive Aufmerksamkeit von Kindern und Jugendlichen geht die Unabhängigen Forschergruppe „Neurokognitive Entwicklung“ am Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg nach. Über spannende Erkenntnisse und praktische Anwendungsbeispiele spricht Team-Leiterin Prof. Dr. Nicole Wetzel, die zudem an der Hochschule Magdeburg-Stendal in den Studiengängen „Leitung von Kindertageseinrichtungen - Kindheitspädagogik“, „Kindheitswissenschaften“ und „Rehabilitationspsychologie“ lehrt, in der 27. Folge des Podcast-Formats „Science Talk“.
Als Fähigkeit, sich auf relevante Informationen zu fokussieren und gleichzeitig irrelevante Informationen zu ignorieren, definiert Nicole Wetzel die selektive Aufmerksamkeit. Konkret gesagt: Wer beispielsweise den „Science Talk“-Podcast hört, versucht gleichzeitig Störgeräusche, wie von vorbeifahrenden Autos, auszublenden. „Die selektive Aufmerksamkeit ist natürlich total wichtig fürs Lernen. Sich auf etwas zu konzentrieren und sich nicht ablenken zu lassen, ist eine Voraussetzung für fast alle Lernprozesse. Und diese Aufmerksamkeitskontrolle, die entwickelt sich im Kindesalter“, erklärt die Forschungsgruppenleiterin. Wie das genau funktioniert, welche Einflussfaktoren es gibt und welche Hirnareale beziehungsweise neuronalen Netzwerke involviert sind, untersucht sie mit ihrem Team.
Das geschehe auf drei Ebenen, erläutert sie. Auf der Verhaltensebene werde geschaut, wie sehr und auf welche Art und Weise Störgeräusche die Leistung beeinflussen. Welche neuronalen Prozesse der Kontrolle der Aufmerksamkeit zugrunde liegen, werde auf der Ebene des Gehirns untersucht. Als letzter Punkt sei der Blick in die Pupille eine entscheidender Faktor, da diese sich verändere, wenn wir etwas überraschenden, störendes hören. „Indem wir das systematisch untersuchen, können wir Rückschlüsse auf beteiligte Hirnstrukturen ziehen“, verdeutlicht Nicole Wetzel.
Aufmerksamkeitskontrolle entwickelt sich im Kindergartenalter
Als Probanden dienen vorwiegend Kinder im Grundschulalter, aber auch jüngere und ältere Kinder. Und das aus einem guten Grund. „Aktuelle Studien von uns zeigen zum Beispiel, dass sich im Kindergartenalter diese Aufmerksamkeitskontrolle erheblich entwickelt. […] Diese Entwicklung setzt sich fort im Grundschulalter. […] Und sogar im Jugendalter beobachten wir noch Veränderungen in der Aufmerksamkeitskontrolle“, sagt die Expertin.
Wird die Entwicklung dieser Fähigkeit gestört oder nicht gut genug unterstützt, kann das Konsequenzen haben. „Wenn junge Kinder sich schlecht gegen Ablenkung schützen können, dann kann das natürlich auch zu Problemen führen, wenn in ihrer Lernumgebung viele potenzielle Ablenkungen sind“, zeigt sie auf. Dem will sie mit ihrem Team entgegenwirken. „Ein Anwendungsaspekt unserer Forschung ist, dass Lernumgebungen so gestaltet werden können, dass sie dem Entwicklungsstand der Kinder hinsichtlich der Aufmerksamkeit auch tatsächlich entsprechen“, betont Nicole Wetzel. Zudem seien die Erkenntnisse im klinischen Kontext relevant. Zukünftig sollen diese in Therapie und Diagnostik einfließen.
Digitale Medien beeinflussen die Struktur des Gehirns
Eine weitere Forschungsfrage des Teams bezieht sich auf den Einfluss digitaler Medien auf die Konzentrationsfähigkeit. „Generell ist es ja so, dass digitale Medien per se weder gut noch schlecht sind, sondern das hängt von ganz vielen Faktoren ab, zum Beispiel dem Alter, der Nutzungsdauer, der Nutzungshäufigkeit, den Inhalten“, stellt Nicole Wetzel einleitend klar. Studien belegen jedoch, dass digitale Medien die Struktur und die Funktion des Gehirns beeinflussen. „Zum Beispiel können Videospiele, durchaus auch sinnlose Videospiele, bestimmte Aspekte von Aufmerksamkeit verbessern, einfach, weil es trainiert wird“, führt die Leiterin als positives Beispiel auf.
Doch auch negative Einflüsse sind möglich, wie eine aktuelle Studie der Gruppe „Neurokognitive Entwicklung“ zeigt. Wie Wetzel erklärt, sei per EEG die hirnelektrische Aktivität von Kindern beim Memoryspiel gemessen worden – einmal im Duell mit der Versuchsleiterin, einmal mit einem virtuellen Gegner. Wurden den Kindern dabei Störgeräusche vorgespielt, habe das Team festgestellt, dass die Kinder diese beim Spiel am Tablet vertieft verarbeiten würden und die Geräusche mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden, als beim Spiel mit einem Menschen. Das zeige, „dass Kinder in dieser Situation am Tablet offensichtlich ablenkbarer sind durch irrelevante Geräusche“. Laut Nicole Wetzel soll nun durch Folgestudien ermittelt werden, warum das so ist.
In dem Zusammenhang hat sie noch einen Praxistipp für Eltern parat. Generell rät sie bei Aufgaben, die Konzentration erfordern, eine ruhige Umgebung zu schaffen, die mögliche Ablenkungen reduziert. Eine Möglichkeit: das Handy beim Hausaufgabenmachen in einen anderen Raum legen. „Es hat wirklich eine magische Anziehungskraft“, beschreibt sie. Studien würden darauf hinweisen, dass allein, wenn das Handy in der Nähe liegt, beispielsweise auf dem Schreibtisch, ein gewisses Ablenkungspotenzial da sei. Dafür müsse es nicht einmal klingeln. „Eigentlich weiß man es, aber es sind Tipps, die eben auch durch die Forschung entsprechend unterlegt sind“, sagt Nicole Wetzel. Sie verrät zudem, dass laut Studien Sport förderlich für Aufmerksamkeitsprozesse ist. Und auch bei Kindern, die ein Instrument spielen, würden die Aufmerksamkeitssysteme schneller reifen.
Text: Karoline Klimek
Über den Science Talk
Wissenschaft kompakt und kurzweilig aufbereiten – das ist das Konzept des Formats „Science Talk“. Entstanden ist es innerhalb des TransInno_LSA-Teilprojekts „VTrans – Verstetigung von Transferprozessen“. Neben Live-Talks werden Themen aus den Bereichen Forschung, Gründung und Transfer seit November 2020 auch als Podcast zum Nachhören aufbereitet. Am 3. November ist die dritte Staffel gestartet. Neue Folgen gibt es regelmäßig immer mittwochs im Zwei-Wochen-Rhythmus ab 8 Uhr. Reinhören können Interessierte kostenfrei bei Spotify sowie auf der Website www.sciencetalk.net. Informationen zur aktuellen Folge veröffentlicht das Podcast-Team zudem auf dem Instagram-Kanal vtrans_sciencetalk.
Der „Science Talk“ legt eine einmonatige Pause ein und kehrt am 6. April mit neuen, spannenden Folge in Staffel 4 zurück.