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Podcast: Warum in Abwasser jede Menge Chancen stecken

In der 29. Folge des Podcast-Formats „Science Talk“ dreht sich alles um die vielfältigen Möglichkeiten der Abwasseraufbereitung.

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Wiese von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Foto: Matthias Piekacz

Schmutz, Arzneimittelrückstände, Mikroplastik – was sich in unserem Abwasser sammelt, ist nicht sehr appetitlich. Dass darin aber auch nützliche Nährstoffe enthalten sind und man aus Abwasser wertvolle Stoffe und sogar Energie gewinnen kann, weiß Prof. Dr.-Ing. Jürgen Wiese von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Was den Professor für Siedlungswasserwirtschaft am Thema Abwasser seit Jahrzehnten fasziniert und wie er mit seinem Forschungsteam die Welt ein Stück sauberer machen möchte, erklärt er im Gespräch mit Journalismusstudentin Julia Thies in der 29. Folge des Podcast-Formats Science Talk.

„Im Moment betrachten wir Abwasser eigentlich nur als lästiges Übel. Das ist aus meiner Sicht aber falsch, denn in Abwasser stecken jede Menge Chancen für uns drin. Auch im Hinblick auf Klimawandel und Ressourceneffizienz“, ist sich Jürgen Wiese sicher. Im Schmutzwasser seien beispielsweise Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor enthalten, die herausgefiltert und als Düngemittel verwendet werden könnten. Auch das beim Duschen oder Wäschewaschen verwendete warme Wasser könne mittels Wärmerückgewinnungsverfahren wieder nutzbar gemacht werden, beispielsweise um Gebäude zu heizen. Zudem könnten aus den im Abwasser enthaltenen Kohlenstoffverbindungen Biogas und Klärgas erzeugt werden, die dann wiederum in Strom, Wärme oder Kraftstoffe umgewandelt werden können. „Im Abwasser steckt sehr viel mehr Potenzial drin, als wir das so landläufig glauben“, betont der 52-Jährige.

Professor für Forschungsprojekte ausgezeichnet

Mit den technischen Prozessen zur Abwasseraufbereitung beschäftigt sich der Diplom-Bauingenieur in zahlreichen Forschungsprojekten, vor allem in Zusammenarbeit mit seinem sechsköpfigen Team der Arbeitsgruppe „Abwasser“. Arbeitsschwerpunkte seien dabei neben der Rückgewinnung von Ressourcen auch, wie Biogasanlagen besser in den erneuerbaren Energien-Mix integriert werden können. Während einige Forschungsergebnisse laut Wiese noch einige Jahre benötigen werden, um in der Praxis Anwendung zu finden, stehen manche Ansätze kurz vor der Erprobung. So entwickelt sein Team beispielsweise derzeit Zukunftskonzepte für chinesische Großklärwerke, die innerhalb der nächsten zwei Jahren Realität werden könnten. Als Anerkennung dieser umfangreichen und wegweisenden Arbeit hat der Abwasser-Experte im November 2021 den Forschungspreis der Hochschule Magdeburg-Stendal bekommen.

Für die Zukunft wünsche er sich, seine Arbeitsgruppe auszubauen und durch weitere Anwendungspunkten zu ergänzen. „Ich erhoffe mir, dass ich mit meiner Arbeitsgruppe und auch den jungen Studierenden, die wir hier ausbilden, einen kleinen Beitrag dafür leisten kann, dass wir die Probleme, die der Klimawandel mit sich bringt, tatsächlich in den Griff kriegen“, sagt Jürgen Wiese. Doch hier müsse auch die Politik mitspielen. „Wir waren lange Zeit auf einem guten Weg“, sagt er mit Blick auf das im Jahr 2000 verabschiedete erste Erneuerbare-Energien-Gesetz. Vor allem im Bereich der Biogase sei anfangs sehr viel passiert.

Experte kritisiert kurzfristiges Denken der Politik

Doch das langfristige Ziel habe seiner Meinung nach gefehlt. Das sehe man an mehreren Stellen. „Wir waren mal Weltmarktführer, was Photovoltaiktechnik angeht. Heute spielen wir da keine Rolle mehr, sondern der Markt wird von Chinesen dominiert. Wir waren auch mal unbestreitbar die Besten im Bereich Windenergie. Auch das hat sich, glaube ich, mittlerweile gewandelt. Und ähnlich hat sich das leider auch im Bereich Biogastechnik entwickelt“, bedauert Jürgen Wiese. „Nach einem riesen Hype, der dazu geführt hat, dass wir innerhalb von wenigen Jahren zehntausend Biogasanlagen in Deutschland bekommen haben, die immerhin die Leistung von einigen Atomkraftwerken haben, hat dann die Politik letztendlich plötzlich abrupt gegengesteuert. Biogas war für einige Jahre kein Thema mehr, sodass wir auch viel Know-how in Deutschland verloren haben.“

Doch der 52-Jährige erkennt eine Kehrtwende. Nicht erst durch die Ukraine-Krise habe die deutsche und europäische Politik erkannt, dass Gasimporte aus anderen Ländern reduziert werden müssen, um nicht weiterhin in einem zu großen Abhängigkeitsverhältnis zu stehen. Der Betrieb von Biogasanlagen, vor allem in weniger dicht besiedelten Ländern wie Polen, habe seiner Ansicht nach „gewaltiges Potenzial, erneuerbare Gase zu produzieren“ und damit eine nachhaltige Alternative zur Erdgasförderung zu sein.

Mit echter Energiewende gegen den Klimawandel

„Wir reden viel von der Energiewende. Aber bei genauerer Betrachtung haben wir eigentlich bisher nur ein gutes Stück im Bereich der Stromwende vorangelegt“, gibt er zu bedenken. Mit Photovoltaiktechnik und Windkraft werde nur Strom erzeugt und damit lediglich ein Drittel des Energieverbrauchs gedeckt. Lösungen für die Erzeugung von Wärme und Kraftstoffen seien aber ebenfalls gefragt. Die Produktion biogener Gase in Europa sei daher eine „Voraussetzung für eine echte Energiewende“, so Wiese. „Der Kampf um den Klimawandel wird nicht mehr in Deutschland gewonnen, sondern da müssen alle an einem Strang ziehen.“

Ob seines Erachtens ein politisches Umdenken stattfindet, warum Biogastechnik überhaupt in Verruf geraten ist und was jeder Einzelne für ein gesünderes Klima beitragen kann, verrät er in der 29. Folge des Podcast-Formats Science Talk.

Text: Karoline Klimek

 


 

Über den Science Talk

Wissenschaft kompakt und kurzweilig aufbereiten – das ist das Konzept des Formats „Science Talk“. Entstanden ist es innerhalb des TransInno_LSA-Teilprojekts „VTrans – Verstetigung von Transferprozessen“. Neben Live-Talks werden Themen aus den Bereichen Forschung, Gründung und Transfer seit November 2020 auch als Podcast zum Nachhören aufbereitet. Am 6. April 2022 ist die vierte Staffel gestartet. Neue Folgen gibt es regelmäßig immer mittwochs im Zwei-Wochen-Rhythmus ab 8 Uhr. Reinhören können Interessierte kostenfrei bei Spotify sowie auf der Website www.sciencetalk.net. Informationen zur aktuellen Folge veröffentlicht das Podcast-Team zudem auf dem Instagram-Kanal vtrans_sciencetalk.

 

Die nächste Folge erscheint am 04.05.2022. Gesprächspartner ist Prof. Dr. Olaf Ueberschär, Professor für Mensch-Technik-Interaktion am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Industriedesign der Hochschule-Magdeburg-Stendal.